Juli – Patent 3
EP0502255
–
Verbesserte Videosignalauswahlvorrichtung
- EU-Patent auf Software bzw. ein logisches Verfahren (Algorithmus)
- Anmeldung beim Europäischen Patentamt am 16.12.1991 durch EDICO
S.r.l. (Italien)
- Gewährt am 11.6.1997
- Prioritätsdatum: 21.12.1990 (also maximal gültig bis zum
21.12.2010)
- Kanzlei: Eisenführ, Speiser & Partner
- Einspruch eingelegt am 10.3.1998 durch die Interessengemeinschaft
für Rundfunkrechte GmbH (Deutschland) wegen mangelnder
Patentfähigkeit nach Artikel 100 EPÜ in Verbindung mit den
Artikeln 52 bis 57 EPÜ (fehlende erfinderische Tätigkeit gegenüber
dem Stand der Technik)
- Ergebnis des Einspruchs: Modifikation des Patents am 22.8.2003
- Patentschrift beim FFII/Gauss
- Patentschrift beim EPO/espacenet
- Akteneinsicht beim EPO/epoline
Hinweise zum Lesen von Patentschriften:
- Relevant ist nicht die Anmeldung (A1), sondern die erteilte Fassung (B1, evtl. B2) der Patentschrift. Letztere ist bei espacenet.com als grafische PDF-Datei („Also published as“) abrufbar.
- Das Entscheidende sind die Ansprüche (Claims), denn hier steht, welche Handlungen durch das Patent
lizenzpflichtig werden.
- Um das Patent zu verletzen, genügt es, einen einzigen der Ansprüche zu verletzen. In der Regel ist Anspruch 1 der
entscheidende Hauptanspruch, der alle anderen Ansprüche als
Spezialfälle mit abdeckt.
- Die Beschreibung (Description) soll bei der Auslegung der Ansprüche helfen.
Gleichzeitig soll sie das Wissen um die Erfindung dokumentieren
und offenlegen. Diese Offenlegung ist der ursprüngliche Zweck des
gesamten Patentsystems.
- In der Praxis enthält eine Patentschrift keine näheren Hinweise darauf, wie der patentierte Vorgang realisiert werden kann, selbst wenn es
einem der Patentinhaber per Lizenz gestattet. Insbesondere enthält
ein Software-Patent keinen Programm-Code (Referenzimplementation),
sondern beschreibt lediglich die Idee zu einer Software.
Patentierte Idee: Einen Fernsehempfänger automatisch auf einen bestimmten Kanal
umschalten, sobald dort eine bestimmte Sendung anfängt
Hauptanspruch: Während ein Fernsehempfänger auf einen Kanal A eingestellt ist, ihn
automatisch auf einen anderen Kanal B umschalten, sobald dort eine
bestimmte, vorher spezifizierte Sendung gesendet wird oder sobald
sich das auf Kanal B gesendete Programm ändert
In der ursprünglichen Fassung des Patents war von einer „Fernsehsignalauswahlvorrichtung“ die Rede, und es fehlte die Anforderung, daß zunächst ein Kanal A
eingestellt sein muß. Als Reaktion auf den Einspruch wurde „Fernsehsignalauswahlvorrichtung“ durch „Fernsehsignalempfänger“ ersetzt und die o.a. Anforderung ergänzt.
Sonstige Ansprüche:
- Erkennen des Beginns der Sendung auf Kanal B durch einen zweiten
Satz der dafür notwendigen Komponenten des Fernsehempfängers
- Steuerung des Umschaltens durch eine Steuerschaltung, die einen
Mikroprozessor enthalten darf
- Identifikation der spezifizierten Sendung durch die dafür
vorgesehenen Signale im ausgestrahlten Fernsehprogramm,
insbesondere VPS
- Einschalten per Tastendruck
- Den Benutzer nach der Sendung fragen, zu der umgeschaltet werden
soll
- Verwendung des Fernsehbildschirms für die Anzeige (On Screen
Display)
- Realisierung in Gestalt von Hardware-Schaltkreisen oder Software
Die Formulierung der Ansprüche enthält zahlreiche technisch
anmutende Begriffe wie „Signalkomparator“ oder „verdrahtete Logik“. Die Innovation besteht jedoch aus der rein logischen Verknüpfung „Wenn die Sendung im anderen Programm anfängt, dann schalte dorthin um“. Unabhängig davon, ob die Realisation durch ein Computerprogramm
oder durch Hardware-Schaltkreise erfolgt, handelt es sich also hier
um ein Logik- bzw. Software-Patent.
Beschreibung: Fernsehzuschauer haben gelegentlich das Problem, eine bestimmte
Sendung nicht verpassen zu wollen, während sie gleichzeitig auf
einem anderen Kanal eine andere Sendung sehen. Die Patentschrift
dokumentiert und monopolisiert eine Lösung für dieses Problem, die
besser ist als ein wiederholter manueller Wechsel des
Fernsehprogramms oder eine eingeblendete Miniaturansicht des anderen
Programms.
Die Patentschrift dokumentiert darüberhinaus, daß Fernbedienungen
häufig in leicht zu merkender Weise belegt sind (z.B. in Italien
Taste „1“ für den Sender RAI 1, Taste „2“ für RAI 2 usw.) und daß es daher den Benutzern leichtfallen wird,
die patentierte Umschaltautomatik zu nutzen, wenn die
Umschalt-Programmierung über dieselben Tasten plus eine weitere
erfolgt.
Alltagsparallele: Vater und Sohn möchten ein im Fernsehkanal B übertragenes
Fußballspiel gemeinsam sehen. Unmittelbar vorher zeigt derselbe
Sender B eine Musiksendung, für die sich der Sohn interessiert. Der
Vater möchte jedoch noch bis zum Spielbeginn eine politische
Diskussion sehen, die in einem anderen Kanal A läuft, und gibt
seinem Sohn („Umschaltautomatik“) die folgende Anweisung: „Geh in Dein Zimmer und schaue dort Sender B auf dem kleinen
Fernseher an. Ich schaue solange Sender A hier auf dem großen
Fernseher. Sobald das Spiel anfängt, komm zurück und schalte den
großen Fernseher einfach auf Kanal B um.“
Beispiele für Patentverletzung:
- Für jede Fernseh-Software, die VPS nutzt, ist die
patentverletzende Umschalt-Automatik naheliegend. Dies gilt
unabhängig davon, ob die Software auf einem Fernsehgerät oder auf
einem Standard-Computer läuft.
- Auch ein Videorekorder ist ein Fernsehempfänger und läßt sich
durch Anschluß eines Monitors wie ein normales Fernsehgerät nutzen
– mit oder ohne Aufzeichnung. Eine VPS-Programmierung des
Videorekorders bewirkt ein Umschalten auf einen anderen Kanal dar
und verletzt somit das Patent.
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