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Presse Juni

Übliche E-Mail-Programme verletzen Softwarepatent von Lucent

Patent EP1056268 der Firma Lucent zum „Softwarepatent des Monats Mai“ gewählt – Patentschrift deckt Versenden von E-Mails mit Anhängen ab – Aufruf zum Einreichen von Beispielen für mutmaßlich wertvolle Softwarepatente – Fünf neue Kandidaten stehen im Juni zur Wahl

1. Juni 2006. Das Softwarepatent EP1056268 von Lucent Technologies wurde zum „Softwarepatent des Monats Mai“ gewählt. Auf den ersten Blick scheint es sich um ein Patent auf Sprachpostnachrichten (Voicemail Messages) zu handeln. Aus dem Hauptanspruch geht jedoch eindeutig hervor, dass übliche E-Mail-Programme, mit denen auch Anhänge versendet werden, das Softwarepatent EP1056268 verletzen. Rund 37 Prozent von über 3.300 Teilnehmern wählten das Lucent-Patent zum aktuellen „Monatssieger“. Im Rahmen der von 1&1, GMX, mySQL, Red Hat und CAS unterstützten Informationskampagne nosoftwarepatents-award ist es damit nominiert für die im Herbst stattfindende Wahl des „Softwarepatentes des Jahres 2006“. Auf dem zweiten Platz (28 Prozent) folgt das Patent EP0621528 von Microsoft über die vereinheitlichte Bedienung der Undo/Redo-Funktion verschiedener Programme durch Beteiligung des Betriebssystems.

Patentbeschreibung laut Lucent nicht korrekt

Laut Lucent Technologies bezieht sich das Patent EP1056268 nominell „nur“ auf „strukturierte Sprachpostnachrichten“. Auf Nachfrage der Organisatoren des Nosoftwarepatents-Award verwies das Unternehmen darauf, dass es in der Zusammenfassung des Patents beim Europäischen Patentamt nur um strukturierte Sprachpostnachrichten gehe, die Beschreibung auf der Webseite der Informationskampagne hingegen auf strukturierte E-Mails abhebe. Auf eine Einladung zur Stellungnahme antwortete Lucent Technologies, das Lucent-Patent EP1056268 sei nicht richtig auf den Internetseiten der Informationskampagne beschrieben. Zu weiter gehenden Äußerungen oder Stellungnahmen erklärte sich Lucent Technologies nicht bereit.

Hauptanspruch deckt Versand strukturierter E-Mails ab

Tatsächlich deckt der Hauptanspruch das Versenden jeder Art von strukturierter E-Mail ab. Die Organisatoren des nosoftwarepatents-award reagierten daher mit Unverständnis auf die Kritik von Lucent Technologies: „Für die Auslegung möglicher Patentverletzungen sind nicht Zusammenfassungen, sondern die Patentansprüche maßgeblich. Es mag sein, dass sich die Zusammenfassung, die Beschreibung sowie einige untergeordnete Patentansprüche 'nur' auf Sprachpostnachrichten beziehen. Wie jedoch aus dem Hauptanspruch 1 eindeutig hervorgeht, deckt das Lucent-Patent EP1056268 das Versenden von strukturierten E-Mails komplett ab“, so Harald Talarczyk, Kampagnenmanager des Nosoftwarepatents-Award.

Fakt ist, dass die Patentschrift zu EP1056268 den Hauptanspruch 1 anmeldet auf „Verfahren zum Erzeugen einer elektronischen Nachricht und Versenden derselben an die Mailbox eines Empfängers in einem Nachrichtenübermittlungssystem, mit Versenden der elektronischen Nachricht an eine Adresse der Mailbox des Empfängers im Nachrichtenübermittlungssystem“. Der weiter ausgeführte Hauptanspruch 1 auf das Versenden jeder Art von strukturierter E-Mail ist präzise formuliert, wenn auch in einer für „Patent-Laien“ schwer verständlichen Fachsprache verfasst. Laut Patentschrift ist das patentierte Verfahren gekennzeichnet durch den Schritt des Formulierens „der elektronischen Nachricht durch Kombinieren einer Mehrzahl von Nachrichtenelementen, wobei mindestens ... eines der Nachrichtenelemente Anweisungen umfasst, die eine Struktur der Nachricht definieren.“

Volkswirtschaftliche Risiken

Das Beispiel des Lucent-Patentes zeigt auf, dass man sehr genau die richtigen Stellen von Patentschriften beachten muss, um die Risiken einschätzen zu können, die mit der vom EPA seit vielen Jahren praktizierten Vergabe von Softwarepatenten einher gehen. Was es in ökonomischer Hinsicht bedeuten kann, wenn ein Patent wie EP1056268 vom Patentinhaber offensiv gegenüber Patentverletzern durchgesetzt würde, skizziert Dipl.-Volkswirt Jens Mundhenke, Wissenschaftler am Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel: „Wenn – wie beim 'Softwarepatent des Monats Mai' denkbar – ein technischer Standard, der die Kommunikation und den Datenaustausch regelt, durch Patente geschützt ist und bei restriktiver Durchsetzung exklusiv vom Inhaber dieses Patents genutzt werden kann, so bedeutet dies, dass ausschließlich dessen Kunden miteinander kommunizieren und als Nutzer der patentierten Technologie untereinander ein Netzwerk aufbauen könnten. Anderen Anbietern (und damit deren Kunden) wäre der Zugang zu diesem Netzwerk verwehrt, sie müssten eigene Technologien entwickeln und ein alternatives, zur patentierten Technologie inkompatibles Netzwerk für die eigenen Kunden aufbauen.“ (kompletter Kommentar)

Fünf neue Kandidaten für die Wahl im Juni

Mit neuen Kandidaten für die Wahl des „Softwarepatentes des Monats Juni“ geht die Vergabe des nosoftwarepatents-award in die nächste Runde. Ab sofort kann online darüber abgestimmt werden, welches der fünf zufällig ausgewählten Softwarepatente – unter anderem von Casio, Mitsubishi und der deutschen sd&m AG – ebenfalls für die Wahl zum „Softwarepatent des Jahres 2006“ nominiert sein soll.

Aufruf zum Einsenden von Positivbeispielen für Softwarepatente

Nachdem in den Mai-Patenten Leservorschläge für besonders schädliche Softwarepatente aufgegriffen wurden, fordert die Kampagne ihre Leser nun auf, Beispiele für preisgekrönte oder mutmaßlich besonders „wertvolle“ Softwarepatente einzureichen, über die dann in einem der folgenden Monate abgestimmt werden kann. Durch die Kombination von Negativ- und Positivbeispielen mit ansonsten bewusst zufällig ausgewählten Softwarepatenten will die Kampagne das gesamte Spektrum der vom Europäischen Patentamt erteilten Softwarepatente beleuchten.


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