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Oliver Lorenz zur Wahl des Patentes EP1044400 zum „Softwarepatent des Monats September“:

Im Grundsatz handelt es sich hier um eine internetbasierten Dienst zum Aktualisierung der Benutzeroberfläche einer Fernbedienungseinrichtung. (Brief summary of the invention, Seite 4 of the patent specification, angemeldet im September 1999, US Priorität September 1998, Eigentümer Philips)

Kommentar:

Dieses Patent zeigt was mit der Erteilungspraxis des Europäischen Patentamts (EPA) im Argen liegt: die Erteilungspraxis ist maßstabslos seitdem das Amt die Bedingung der Technizität aufgegeben hat. Eine Erfindung muss eine technische Lehre beinhalten, so die mit Abstand wichtigste Bedingung im Patentrecht. Diese Voraussetzung stellt sicher, dass nicht jede gute Idee gleich als patentierbare Erfindung gilt, genauso wie der patentgesetzliche Ausschluss von Computerprogrammen die Linie zieht zwischen Patentrecht und Urheberrecht.

Die sogenannte Technizität ist das einzige Kriterium um die Qualität einer Erfindung zu beurteilen. Nur Ideen, die die naturwissenschaftliche Erkenntnis bereichern und das Wissenswachstum in diesem Bereich überdurchschnittlich befördern sollen in unserer Gesetzesordnung ein zwanzigjähriges Monopolrecht verdienen. Denn zum Glück haben viele Leute jeden Tag gute Ideen mit denen sich Geld verdienen lässt. Die Idee Fernbedienungen über das Internet zu aktualisieren könnte so eine sein. Aber diese Ideen sollten nicht vom Wettbewerb ausgenommen werden indem sie in das Eigentum eines Unternehmens übergehen, sondern die Konkurrenz fördern, und zwar vom ersten Tage an.

Die Praxis des EPA, die Grundvoraussetzung der technischen Lehre als erfüllt anzusehen, sobald sich eine Patentschrift auf einen technischen Gegenstand bezieht – auf eine Steuereinrichtung, einen Computer oder das Internet – hat zur vollständigen Bedeutungslosigkeit der Voraussetzung geführt. Dem Amt fehlt damit jegliches Maß um die Eigenschaft einer Neuheit als patentierbare Erfindung einzuschätzen. Dies soll, dem Gesetz nach, durch Vergleich mit dem Stand der Technik geschehen. Im Gegensatz zu Geschäftsideen oder dem Bereich kreativer Schöpfungen existiert ein solcher objektiver Maßstab nur im Bereich der Naturwissenschaften. Denn nur Naturwissenschaften bauen auf Naturgesetzen auf, die von subjektiver Einschätzung unabhängig sind. Und nur diese Naturgesetze erlauben es, den Stand der Technik – das bekannte Wissen – objektiv zu kennen, und auf dessen Grundlage zu bestimmen, ob sich eine Idee tatsächlich davon entfernt – nach vorn und mit überproportionalem Abstand.

Die Grundlage in den Naturwissenschaften – dieses beruht auf, und ist abhängig von der Suche nach sogenannter Prior Art, dem vorbekannten Wissenstand. (Anders als im Urheberrecht, wo der Begriff der Neuheit subjektiv zu bestimmen ist, da es hier um den Schutz individueller Kreationen geht.) Es ist nicht hinnehmbar weil unmöglich, wenn das EPA, wie in vergangenen Diskussionen immer wieder geschehen, verlangt, dass die Wirtschaft den amtlichen Prüfungsprozess unterstütze; dies kann nicht funktionieren, wenn das Amt den einzig verlässlichen Maßstab verwässert und missachtet.

Das vorliegende Philips Patent is kennzeichnend für Geisteszustand am EPA: das Verwenden eines Computers und einer Internetverbindung –bekannt zum Zeitpunkt der Patentanmeldung – um eine Fernbedienung – ebenfalls vorbekannt – mit Daten zu versorgen, mag als Geschäftsidee etwas zählen. Und sicherlich hat diese Idee irgendwann jemand zuerst – ob das der ausgewiesene Erfinder war, darf bezweifelt werden. Aber was ist daran messbar neu, wenn man sich vorstellt, dass man auch eine Telefonleitung nutzen kann, um eine Einkaufsliste nach Hause durchzugeben? Wie entscheidet das Amt, wenn statt der Fernbedienung über das Internet, ein PC in einem Firmennetzwerk aktualisiert wird, und dies jemand zum Patent anmeldet?

Ein zwanzigjähriges Monopolrecht für diese Idee erinnert an die Privilegienvergabe im Mittelalter, die Erteilungspraxis des EPA unterscheidet sich davon kaum.

Wenn das Amt weiterhin das Vorliegen des Technizitätskriteriums allein von der Formulierung des Patentanspruchs abhängig macht, gibt es damit das grundlegende Funktionsprinzip des Patentwesens auf. Damit gerät das gesamte System geistiger Eigentumsrechte aus dem Gleichgewicht. Denn Eigentum ist begrenzt, und wenn ein Amt Rechte – weg. Es kann, in dieser Hinsicht völlig dahinstehen, ob das Amt dies auf Druck aus der Industrie tut, oder wie manche behaupten, aus eigenem Machtstreben – wie die Zulassung eines gesetzeswidrigen Anspruchs auf ein Computerprogramm (Patentanspruch N°5) vermuten lassen könnte – tut; es missbraucht ganz offenbar seine hoheitlichen Rechte.

Ein Patentamt, welches seine Funktion, Patentprüfungen nach dem Gesetz durchzuführen, entweder nicht ausführen kann, oder nicht ausführen will, stellt eine Gefahr für Wirtschaft und Gesellschaft dar. Diese kann nicht hingenommen werden. Im Hinblick auf die derzeitige Diskussion um die Ausweitung der Regeln über Patentstreitigkeiten, welche die Schaffung eines patentamtsnahen Spezialgerichts beabsichtigt, ist die Herstellung und Aufrechterhaltung demokratischer Kontrolle wichtiger als je zuvor.

Emcita (European Media, Communication and Information Technology Association) wurde vor zwei Jahren auf Initiative kleiner und mittelständischer Unternehmen in Berlin gegründet und engagierte sich gegen die kontroverse Softwarepatent-Richtlinie, die im Juli 2005 vom EU-Parlament in zweiter Lesung zurückgewiesen wurde. Emcita setzt sich für Wettbewerbsgerechtigkeit ein und stellt sich mit Informationen und Aufklärung der Einflußnahme von Großunternehmen auf den politischen Meinungsbildungsprozess gegenüber. Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes macht sich die Gesellschaft stark für einen gerechteren Ausgleich zwischen privatwirtschaftlichen und den Interessen des Gemeinwohls an Wissenszugang in der Informationsgesellschaft.


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